Die mehrstimmige Motette zieht sich wie ein roter Faden, angefangen vom I3- Jahrhundert bis heute, durch die hohe Kunst des biblischen wie weltlichen Chorgesangs. Dennoch ist sie ein Reservat für geistliche Vokalmusik, seltener von Instrumenten begleitet, mehr eine der glanzvollsten Erscheinungen vielstimmigen A-cappella-Gesangs.
Ein Paradebeispiel dafür erlebten die Zuhörer am fünften Passionssonntag in der Klosterkirche Enkenbach. Was dabei vom Motettenchor Speyer geboten wurde, kam einer kontinuierlichen Entwicklung der Motette nahe. Angefangen von Heinrich Schütz bis zum 1931 geborenen Wolfgang Stockmeier wurde keine Stilepoche ausgelassen, in der Motetten zur Passionszeit geschrieben wurden, in der sich Text und Musik um das Leiden des Erlösers ranken. Von lapidarer Dreiklanghymnik also über Polyphonie, chromatische Reizharmonik und ätherische Klanglichkeit bis zur achtstimmigen Sprech-Motette war alles aufgeboten.
Die Orgel (Christoph Keggenhoff), ein Streichquartett (Juliane Sauerbeck, David Göller, Violinen, Achim Ringle, Viola, Gerhard Weiland, Cello) und ein Fagott (Martin Kersch) spielten an diesem Abend bei Schütz, Bach und Krebs nur eine dienende, stutzende Rolle, sie traten nie eigenständig hervor, so daß es sich um ein Quasi-a-cappella-Chorkonzert handelte, dem Ideal entsprechend, das sich Homiliu, Schicht, Brahms und van Nuffel von einer würdigen Passions-Motette gemacht haben. Die Wiedergabe durch den Motettenchor Speyer war mustergültig und übertraf alle Erwartungen durch seinen Reichtum des Klanglichen, die lupenreine Intonation, seine dynamische Spannweite und die enorme Ausdrucksintensität. Auf diese Weise wurde die ganze Farbigkeit der gebotenen Werke Ereignis, wurden in Töne gesetzte Worte Manifest. Auch die sporadisch eingesetzte Sopranistin Sabine Diven entsprach mit ihrer glanzvollen Stimme dem hohen Niveau des Konzertes. Eine Sängerin, die den Charakter dieser Passions-Zeugnisse eindrucksvoll traf. Ihre musikalisch farbenreiche und virtuos schillernde Technik gab im einzigen Instrumentalintermezzo die Blockflötistin Julia Belitz mit einem Thema und Diminution von Orlando die Lasso zum besten. Die große Innenspannung, hinein bis in die kleinsten Schwingungen und die Makellosigkeit der Vorträge verdankt diese Motetten-Darstellung der espressiv durchglühten Meisterleistung von Marie Therese Brand am Dirigentenpult.
Walter Mottl