Schnee und Hagel und ein ganzes zoologisches Kabinett

Studierende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz interpretieren in der Klosterkiche Enkenbach Joseph Haydns Oratorium "Die Schöpfung"

 

Man möchte meinen, Standard-Aufführungen von Bach-, Händel- oder Haydn-Oratorien seien Schwämme, aus denen sich kein Tröpfchen Wasser mehr pressen ließe. Doch der Professor des Fachbereichs Musik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Eberhard Volk, ließ mit der Einstudierung der "Schöpfung" von Joseph Haydn derlei Zweifel verstummen; indem er für jeden der drei Oratorienteile seinen eigenen Dirigenten und auch die Vokalsolisten gleich dreifach besetzt, rüttelt er an Traditionen und macht ein Oratorium neu erfahrbar.

Daß ihm dies obendrein mit dem Chor und Orchester, Dirigenten und Solisten aus den Abteilungen Kirchenmusik, Schulmusik und Diplompädagogik so gelingt, als sei's ein Gesamtwerk der Studierenden allein, offenbart Volks eminenten Sinn für pädagogische Diplomatie. So erlebten die Zuhörer in der vollbesetzten Klosterkirche in Enkenbach das ganze Schöpfungswerk vom Urchaos und dem überwältigend gestalteten "Es werde Licht" bis hin zum großartigen Doppelfugen-Chor "Des Herrn Ruhm, er bleibt in Ewigkeit". Sie wurden mit den die Schöpfungsakte kündenden Rezitativen der Engel Gabriel, Uriel und Raphael durch die Einzelheiten der Entstehung der sechs Tagewerke geführt und durch schildernde und betrachtende Arien der Engel und mächtige Chorsätze zu des Schöpfers Anbetung hingerissen, bis schließlich das erste Menschenpaar Adam und Eva im beglückenden Gefühl ihrer Liebe in den Preis Gottes und die Herrlichkeit seiner Schöpfung einstimmte.

Sie wurden aber auch Zeugen der ungezwungenen Freiheit des Ausdrucks, die von der leicht hingeworfenen Skizzierung des Naturbildes bis zur Architektonik des Gesamtbaus reicht und sich als Produkt einer bei Haydn ganz seltenen Intensität der Arbeit offenbart. Im gewaltigen Ringen des 66jährigen um die letzte Endgültigkeit - die in der Wiener Nationalbibliothek aufbewahrten vielfältigen Skizzen sind ein erschütterndes Zeugnis dieser inneren Auseinandersetzungen - liegen Bedeutung und Unvergänglichkeit dieser Musik begründet.

In Bettina Peifers, Lutz Brenners und Andreas Loheides Einstudierung und Dirigat verdient die saubere Schlagtechnik und die Ökonomie der motivischen Arbeit besondere Bewunderung, Die Temperamente der drei reichten von der goldenen Mitte (Bettina Peifer) über den sehr gefühlvoll und geschmeidig dirigierenden Lutz Brenner bis zur akademischen Sachlichkeit (Andreas Loheide). Das Orchester präsentierte sich bei dieser "Premiere" vor zwei weiteren Aufführungen in Mainz und Wiesbaden in glänzender Form. Das Werk bietet ja auch gerade in seinen rein instrumentalen Partien absolut Kostbares. Großartig die ersten 20 Takte des Chaos-Vorspiels, in das der Gedanke an Schöpfung und Leben durch ein weiches, stufenweise emporsteigendes Ges-Dur-Motiv eingeführt wurde.

Das Stimmungsbild des Morgens, der Glanz des Sonnenaufgangs im zwölften Rezitativ und der Gang vom zarten Pianissimo bis zum gewaltigen Fortissimo schaffte dynamische Höhepunkte. Dazu die Menge humorvoller, drastisch beobachtender Naturszenen, deren Schilderung dem Orchester zufiel. Stürme und Regen, Schnee und Hagel, Blitz und Donner, dazu ein ganzes zoologischen Kabinett, Meer und Berge, Strom und Bäche, all das zeichnete wunderbar belebt das an diesem Abend großartige Orchester.

Den Rezitativen und Arien waren die Sopranistinnen Dorothea Maria Marx, Astrid Schlüter und Nicole Becker, die Tenöre Soung-Teag Moon und Nikola David und die Baritone Stefan Grunwald, Max Carlos Wagner und Jose Wolf ausgezeichnete Sachwalter. Astrid Schlüters Arie "Auf starkem Fittiche" und Nikola Davids Gesang "Mir Würd´und Hoheit angetan" sollen für die Solistenleistungen stehen.

Der Chor sang mit sauberer Intonation, imponierender Schlagkraft und einfühlsamer Empfindsamkeit. Ob rezitativisch oder leise psalmodierend, ob im festgefügten Tutti oder in den Fugen von Händelscher Größe - sein Singen entsprach stets dem Geist dieser herrlichen Musik. Und diese Mannigfaltigkeit der seelischen Landschaft erklärt auch die tiefe Resonanz, welche das Werk auf die begeisterten Zuhörer in der Klosterkirche bei langem Beifallsdank ausgelöst hat.

Walter Mottl

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